Zeitenwende Weihnachten!
Schöne Weihnachten!?!
Ein Stoßseufzer zum Anfang: „Ach, Mensch, nein, das hätte ich mir anders gewünscht… nach den Pandemie-überschatteten Weihnachten der letzten Jahre sollte es doch einmal wieder so richtig schön werden. Sorgenfrei! Aber jetzt? Mir fehlt die Leichtigkeit…?“
Naja… definiere „schön“ und „sorgenfrei“: Heißt das nicht immer auch „verdrängungsbegabt“ oder wenigstens: „resilient“?
Es ist wahrlich nicht der erste Krieg in Europa, der uns bedrücken muss. Die Flüchtlingsströme der Welt sind seit Jahrzehnten bittere Realität. Und dass unser Raubbau an Ressourcen Konsequenzen hat, wissen wir nicht erst, seitdem das Heizen zum Politikum wird… . Hatten frühere Weihnachten „schöne“ Leichtigkeit durch meine notorische Fähigkeit zum „Ausblenden“ dessen, was nicht sein soll im Idyll?
Wie ernst nehmen wir den Wunsch nach „schönen Weihnachten“, wir, die wir in der Bildungsarbeit tätig sein dürfen?
Seit es Religionsunterricht gibt, lädt er die Welt ins Klassenzimmer. Was täte die Kirche ohne den Religionsunterricht?! Hier bekommt die Theologie heilsame Bodenhaftung, verbindlich wie nirgendwo sonst. Hier entsteht ein unmittelbarer Austausch zweier Welten, die schon das Neue Testament zueinander weist: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder“, sagt Jesus seinen Jüngern. Und so darf die Kirche im Religionsunterricht und durch den Religionsunterricht hören, was Kinder denken, während sie heranwachsen, während sie hineinwachsen in die große Erzählgemeinschaft um die biblischen Geschichten und Gedanken des Glaubens.
Doch dieses gemeinsame Arbeiten geschieht nicht im kirchlichen Binnenmilieu. Es geschieht im staatlichen Kontext, ist in einem Teil der Welt. Und darum ist alles real präsent, was außerhalb von Religion und ganz frei von ihr existiert. Der Religionsunterricht macht Weltgeschehen dann zu einer Anfrage an Theologie und kirchliches Selbstverständnis. Und umgekehrt traut er sich tatsächlich seinerseits, aus Theologie und Glaube heraus die Welt in Frage zu stellen.
Da hat bisher noch jede Generation die Fragen nach Krieg und Frieden, nach Wahrheit und Toleranz, nach Gerechtigkeit und dem Platz des Menschen in der Welt, nach Freiheit und Verantwortung mitgebracht, hat den Religionsunterricht in Anspruch genommen und seine theologische Position angefragt, vielleicht gerade da, wo eine wahrhaftige christliche Position brisant war.
Wann immer man der kirchlichen Lehre Bigotterie, Orthodoxie oder eine gar zu straffe Verbindung von Thron und Altar vorwerfen konnte, ist eben gerade aus den Widerständen, die solche klerikale Haltung im Klassenzimmer provoziert, wieder eine besonders sensibilisierte Generation entstanden, hervorragend sprachfähig und gestaltungsfähig für Renaissancen von Qualität in theologischer Rede und kirchlichem Handeln – öffentlich und für sich.
Umgekehrt aber auch: Wann immer Regierungen einander so wichtig nahmen, dass sie gar „Zeitenwenden“ postulierten und provozierten, stand dem der Religionsunterricht mit seinem „Weihnachten“ entgegen: „Weihnachten“ ist ja nicht nur das Dezemberfest. „Weihnachten“ ist eine Chiffre für eine umumkehrbare, wirksame Weltveränderung: Die christliche Zeitenwende ist längst geschehen; ein für allemal und durch kein weiteres Geschehen überbietbar oder aufgehoben:
Die Zeitenwende des Christusgeschehens gilt für die Seinen, solange ER die Zeit in Händen hält und ER das A und O ist der Jahre, die sie nach IHM zählen! Dies relativiert heilsam menschliche Allmachtsphantasien und emanzipiert: Es macht aufgeklärt und mündig – letztlich gerade dadurch auch fähig zu aufgeweckter Zeitgenossenschaft, gerade in der Demokratie!
Wir, die wir in der christlichen Bildungsarbeit stehen, haben das als Aufgabe: Die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Zeit aus der Weltsicht des Glaubens, das heißt: Aus der Zeitenwende, für die „Weihnachten“ die Chiffre ist.
Die Zukunft des RU, also die Zukunft evangelischer Erkennbarkeit in der Arbeit mit der kommenden Generation, entscheidet sich, wo Menschen seinen Inhalt und Gehalt zu ihrer Sache machen und nach außen tragen!
Und umgekehrt ist Religionsunterricht unverzichtbar für die Gesellschaft, seit der Reformation. Ein Blick in den Großen Katechismus zeigt die Grundmotivation, die bis heute aktuell ist: Luther tat es in der Seele weh, wenn Kinder entweder verwöhnt werden oder verwahrlosen, dahinvegetieren oder gedrillt werden auf die Welt des Erwachsenen hin.
Gott gibt uns die Kinder doch nicht dafür, dass sie uns glücklich machen, und auch nicht, dass wir sie zur Arbeit gebrauchen, auch nicht dafür, dass wir uns nur darüber Gedanken machen, wie wir sie und sie dann uns finanziell absichern – und erst recht nicht, dass wir sie gehen lassen, als ginge es uns nichts an, was sie lernen und wie sie leben. Wenn Du das nicht ernst nimmst, richtest Du, so Luther wörtlich: mörderischen Schaden an.
Kinder brauchen aber auch nicht kirchliches Handeln imitierend einüben!
Evangelische Bildung heißt: Menschen sollen mündig werden, souverän religiöse Aussagen und menschliches Handeln zu überprüfen und zu beurteilen; nicht nach dem, was die Kirche sagt oder die Lehrerin oder die persönliche Anschauung und Meinung, sondern nach dem, was die Schrift, was Jesus Christus dazu sagen.
Kritikfähigkeit im Vorzeichen der Gnade:
Dazu befähigt der Religionsunterricht!
Wenn das kein Dienst an der Gesellschaft ist, und brennend nötig auch heute?!
Und ich frage mit sehr, sehr tiefem Ernst:
Wie sollen die Kinder die Herausforderungen, die sie unsretwegen in ihrer Zukunft vorfinden werden, bewältigen, wenn wir ihnen weder die Ressourcen noch eine gute Weltordnung hinterlassen – und dann auch nicht einmal mehr die nötige Bildung dazu in die Hand geben? Wir müssen auf die Bildung der Kinder achten. Wir müssen die Kinder achten!
Ich muss meinen Stoßseufzer vom Anfang noch einmal neu ansetzen: Ach, Mensch, das Weihnachten hätten wir uns anders gewünscht? Zu kurz gegriffen!
Christliche, evangelische Bildung und Erziehung fragt an Weihnachten nicht, wie ich mir unser Weihnachten wünsche – sondern welche Weihnachten wir unseren Kindern wünschen – jetzt und in deren Zukunft! Und da habe ich eine ganze Menge vorzubereiten, dass es ein schönes, ein frohes, ein gesegnetes Weihnachten wird!
Ich tu’s in der Hand dessen, dessen Weihnachten schon alles Nötige vollbracht hat. Trotzdem: Im weiß ich mich verpflichtet.
In diesem Sinn! Gesegnete Weihnachten!
– Ihre Katharina Kemnitzer, Landesvorsitzende